Alt und doch aktuell - New Lanark
Viel zu schnell ging die Woche in Newtonmore vorbei. Nun ging es weiter nach Moffat, wo wir letztes Jahr das erste Mal gelandet sind (siehe Schottlands erster Kurort: Moffat) . Die Strecke braucht gar nicht so viel Zeit, und daher suchten wir etwas auf der Strecke zum Besichtigen. Auf unserer Karte stand da New Lanark - World Heritage Village und direkt daneben Falls of Clyde .
Klingt doch nicht schlecht? Lassen wir uns also überraschen. Wahrscheinlich schöne alte Architektur? Aber was New Lanark wirklich war, so muss ich zugeben, wußten wir nicht. Pah, soviel zu verschüttetem Schulwissen.
Schnell machen Schilder klar, das Auto darf nicht mit hinein. New Lanark ist nur für Anlieger mit dem Auto befahrbar. Also schön ruhig wird es.
New Lanark - Blick Richtung Färberei |
Also erstmal parken und dann den Fußweg zum Ort hinunter ... (es gibt aber auch Pendelbusse)
Aber das sieht ja nicht gerade nach einem kleinem alten romantischen Örtchen aus!
New Lanark - Blick Richtung der Spinnereien |
Ja, Schottland war nicht immer das Eldorado für Landschaftsbegeisterte. Die Industralisierung hat hier viele Fabriken mit sich gebracht, viel Arbeit, aber auch viel Elend. Was aber ist so besonders an New Lanark? So besonders, dass die UNESCO es auf die Liste der Weltkulturerbe Stätten gesetzt hat, genauso wie den Aachener Dom oder in Schottland die Insel St.Kilda, Edinburgh und die neolithische Siedlung Skara Brae.
Sagt Ihnen der Name Robert Owen etwas? Bestimmt! Da war doch so etwas in unseren Geschichtsbüchern. Robert Owen (1790-1851), Unternehmer und Sozialreformer stand da.
Nun, New Lanark war seine Mustersiedlung. Er stammte aus bürgerlichen Verhältnissen, Sohn eines Sattlers und Eisenhändler. Schon 1790 war er Leiter ein Bauwollspinnerei in Manchester mit 500 Arbeitern. Von 1800 an war er Mitbesitzer und Leiter der Baumwollspinnerei von New Lanark. Sie wurde 1786 von David Dale gegründet. Er verkaufte an einer Partnerschaft, zu der auch sein Schwiegersohn Robert Owen gehörte. Und hier konnte Owen, auch aufgrund der damals etwas abgelegeneren Lage von New Lanark seine Ideen verwirklichen. Er war überzeugt, dass sich Investitionen in das Wohl der Mitarbeiter auch wirtschaftlich auszahlen. Für seine Zeit waren es damals wirklich revolutionäre Neuerungen. Manche davon kommen uns heute selbstverständlich vor (sind uns jedoch vielleicht gar nicht mehr so sicher wie wir glauben mögen?). Viele davon sind erst weit nach Owens Tod gesetzlich geregelt worden.
Da wären zunächst die Kinder. Kinder unter 10 Jahren wurden nicht beschäftigt. Statt dessen gab es einen Kinderhort für die Kleinen und, wenn ich mich recht erinnere, ab 4 Jahren Schulpflicht bis zum 10.Lebensjahr. Dabei wurde nicht nur lesen, schreiben und rechnen, sondern auch Musik (auch mit Instrumenten), Naturlehre und Bewegungsspiele gelehrt. Owen war überzeugt davon, dass der Mensch an sich weder gut noch schlecht sei. Er vertrat die Meinung: Jeder Mensch kann einen guten Charakter entwickeln, so man ihm von frühen Jahren dem rechten Einflüssen aussetzt, physisch, moralisch und sozial.
Abendschule gibt es erst seit Erfindung der VHS (Volkshochschule)? Irrtum. Alle Arbeiter und vor allem die Jugendlichen wurden ermutigt, die Abendschule zu besuchen.
Damals lebten hier etwa 2500 Menschen, viele davon aus den Armenhäusern Glasgows und Edingburghs. Owen legte fest, dass der Arbeitstag nicht länger als 10,5 Stunden dauern sollte. Feste Pausen sorgten dafür, dass die Arbeiter auch essen konnten. Die Prügelstrafe wurde abgeschafft. Um positiv zu motivieren, gab es den silent monitor , ein Holzklötzchen, was am Arbeitsplatz des Arbeiters hing und dessen 4 Seiten in unterschiedlichen Farben gestrichen war. Durch entsprechendes Drehen wurde angezeigt, wie gut die Arbeit des letzten Tages beurteilt wurde. Darüber wurde auch Buch geführt. Es war auch festgelegt, dass der Arbeiter, wenn er sich ungerecht beurteilt fühlte, Einspruch erheben konnte, bis 'rauf zu Owen selbst. Also ist auch Ranking keine so neue Erfindung.
Auch die Unterkunft seiner Mitarbeiter störte Owen. Er sorgte für die kontinuierliche Verbesserung der Häuser von New Lanark und vernünftige öffentliche Örtchen, sodass die Gefahr von Infektionen verringert wurde. Regelmäßige Inspektionen gewährleisteten Standards an Sauberkeit und Ordnung, und regten den Stolz der Menschen auf das von ihnen Erreichte an.
Und wenn man doch krank wurde? Nun, auch ärztliche Versorgung gab es. Und damit noch weiterhin etwas Geld für die Familie da war, gab man einen kleinen Teil des Lohns in einen Fond, aus dem man, wenn man krank war, etwas bekam (quasi eine einfache Betriebskrankenkasse).
Blieb noch das Problem der Nahrung und Kleidung. Owen bemerkte mit Erschrecken, wieviel von ihrem Lohn die Arbeiter für Lebensmittel und Kleidung ausgeben mußten. Sie hatten ja nie viel Geld und konnten damit nur kleine Mengen kaufen, während man für größere Mengen ungleich günstigere Preise aushandeln konnte. Manche andere Unternehmer hatten dies auch erkannt, gingen jedoch ganz anders damit um. Sie zahlten den Arbeitern nicht den vollen Lohn, sondern gaben ihnen einen Teil in Wertmarken, die nur Gültigkeit im fabrikseigenen Laden hatten. Dort wurde dann häufig minderwertige Ware zu immer noch hohen Preisen verkauft. Die Arbeiter hatten ja keine Wahl. Man verdiente also doppelt. Dem wurde erst durch eine Reihe von Gesetzen (bis 1887) ein Ende gemacht. Owen gebar die Idee des Coop. Kommt vertraut vor, oder? Es gibt sie ja heute immer noch, die Einkaufsgemeinschaften und zwar rund um die Welt. Er richtete also einen Dorfladen ein, in dem "seine" Arbeiter einkaufen konnten. Es konnte also gute Ware in größeren Mengen eingekauft werden und nahezu zum Selbstkostenpreis abgegeben werden. Was an Gewinn erzielt wurde, floß zurück in die Sozialprogramme wie die Schule, z.B. für Lehrmittel oder Schulkittel.
Schon erstaunlich, das alles begann von etwa 200 Jahren. Man muß allerdings auch zugeben, dass Owen auch seine Rückschläge und Mißerfolge hatte. Die Mühle in New Lanark florierte wirtschaftlich und wurde schon damals viel besucht. Trotzdem waren seine Partner unzufrieden, sahen sie doch die Geldmengen, die in seine Wohltätigkeitsprogramme flossen. Er mußte sie auszahlen. Neue Partner waren dann Jeremy Betham und der Quaker William Allen. Sein Versuch Mustergesellschaften in Amerika und in der Nähe von Glasgow zu gründen, sind jedoch nach relativ kurzer Zeit gescheitert. 1828 zog er sich dann auch aus New Lanark zurück. Seine Geldmittel waren von diesen Experimenten erschöpft. Statt dessen setzte er sich sich jetzt für Sozialismus, Gewerkschaftsbewegungen und Säkularisierung ein.
Und New Lanark? Während zu Owens Zeiten die Familien sich über ein eigenes Zimmer freuen konnten, hatte sich Anfang des 20. Jahrhunderts die Mehrraumwohnung durchgesetzt. 1933 gab es dann schließlich Wasserleitungen und Toiletten innerhalb der Häuser. Von 1898 bis zum Anschluss ans öffentliche Stromnetz gab es ein bißchen Strom (für eine Glühlampe pro Raum), generiert mittels der Generatoren der Fabrik, kostenlos bis abends um 10. Nach der Schließung 1968 zogen die Menschen fort, der Ort verfiel rapide. 1975 drohte des Abriss. Der New Lanark Conservation Trust wurde gegründet, um dies zu verhindern.
Mittlerweile sind nahezu alle Gebäude wieder restauriert. Es ist so attraktiv geworden hier zu leben, dass die modernisierten Wohngebäude, die als Wohneigentum verkauft werden sollten, reißenden Absatz fanden. Die anderen Wohnhäuser wurden vermietet. Es soll sogar Wartelisten geben. Man wohnt quasi am Museumshof. In verschiedenen Häusern sind kleine Museen: der Coop-Laden, eine Arbeiterwohnung, das Wohnhaus von Owen, die Schule, die Spinnerei, die Färberei ... Eines der Mühlengebäude ist jetzt ein Hotel. Uns ist die Zeit so schnell verflogen, dass wir zu den Clyde Falls gar nicht mehr gekommen sind.
Wer die Gelegenheit hat, die BBC-Produktion North and South zu sehen, bekommt einen sehr beeindruckenden Einblick in das Spinnereigeschäft.
Noch eine kleine Anmerkung am Rande...
Als wir in Schottland ankamen, eröffnete gerade die Queen den neuen Hauptsitz der Royal Bank of Scotland in Edinburgh. In einem Zeitungsartikel, den ich dazu gelesen habe, war eine Beschreibung des neuen Gebäudes oder besser Gebäudekomplex. Dort ist quasi ein "Ortszentrum" integriert worden: Supermarkt, Drogerie, Ärzte, Cafes, Restaurants, Bars, Kleidung usw.. Arbeiten und Leben soll nicht mehr so weit voneinander entfernt sein, so die Idee.